Demokratie (…) Sie ist ein Ideal, dass es zu erreichen gilt, das aber nie als schlechthin erreicht betrachtet werden kann.
„Was ist Demokratie?“ – BR-Podcast von Valentin Badura, Min. 21:17 (siehe Link unten)
Was ist Demokratie auf Gemeindeebene? Ist es eine Regierungsform, bei der die Bevölkerung alle fünf Jahre ein Kreuz bei der Gemeinderatswahl macht und zwischen den Wahlen dann die gewählten Vertreter:innen das Sagen haben – also sie bestimmen dürfen, wann die Meinung von Bürger:innen gefragt ist und wann nicht? Konkret: Dürfen Bürger:innen sich nur dann zu einem Thema äußern, wenn der Gemeinderat eine offizielle Bürger:innen-Beteiligung beschließt oder nach einer Abstimmung im Gemeinderat einer Person erlaubt hat, eine Frage zu stellen? Oder heißt Demokratie, dass Bürger:innen ihre politische Meinungen jederzeit äußern dürfen, ohne vorherige Genehmigung des Gemeinderats? Dürfen Bürger:innen die Arbeit ihrer politischen Vertreter:innen (zusätzlich) jederzeit hinterfragen und von ihnen Positionierungen zu bestimmten Themen einfordern dürfen? Dazu gibt es in Haag ganz widersprüchliche Ansichten.
Warum frage ich mich das gerade jetzt? Das hat folgenden Grund: Auf der Facebook-Seite der in Haag am Hausruck aktiven Bürger:innen-Initiative „Gewerbepark oder Lebensraum“ wurden im Post vom 29.07.2023 die – aus Sicht von Bodenschutz und Kampf gegen Korruption äußerst beunruhigenden – Vorgänge rund um den ÖVP-Bürgermeister und Gemeindebundpräsident Alfred Riedl im niederösterreichischen Grafenwörth thematisiert. Es wurde – im Sinne eines Blicks über den Tellerrand – die Frage aufgeworfen, wie die ÖVP Haag am Hausruck dazu steht. Darauf regierte der Haager Vizebürgermeisters mit einem Kommentar seines persönlichen Facebook-Kontos. Das für mich aus Demokratiesicht total Spannende an seinem Kommentar ist Folgendes: Er stufte den Facebook-Post als Wahlauseinandersetzung ein.
Sein Kommentar wurde vom Fraktionsvorsitzenden der ÖVP Haag/H. gelikt. Das wirft die Frage auf: Ist es Wahlkampf, wenn jemand wissen möchte, wie Gemeindepolitiker:innen zu politischen Themen stehen? Für wichtige Vertreter der ÖVP Haag/H.: Offensichtlich ja. Für mich: Klar nein. Politiker:innen haben für mich eine klare Rechenschaftspflicht gegenüber der Bevölkerung, die sie vertreten – und zwar während der gesamten Mandatsperiode.
Das bringt mich zum nächsten spannenden Punkt. Der Haager Vizebürgermeister stufte nicht nur den Post als Wahlauseinandersetzung ein, sondern auch die Facebookseite „Meine Idee von Haag“, die von einem Mitglied des Initiativkomitees der Bürger:innen-Initiative „Naturraum oder Gewerbepark“ betrieben wird:
Ich hab daraufhin diese Facebook-Seite intensiv durchforstet – um zu prüfen, ob an den Vorwürfen was dran ist.
Dabei stellte ich fest: Der erste inhaltliche Post auf dieser Facebook-Seite erfolgte am 03.08.2020, der (Stand 12.08.2023) letzte am 06.03.2023. Der Post war also vor und nach der Gemeinderatswahl 2021 aktiv. Sein Logo war von Anfang an pink, es hat nur mal die Form geändert (Glühbirne statt Sprechblase). Am 11.03.2021 informierte die Betreiberin, dass sie für einen Platz auf der Liste der Neos für die Landtagswahlen im Herbst 2021 kandidierte. Parteipolitische Themen wurden daraufhin aber nicht gepostet.
Inhaltlich wurde v.a. zu den Themen Verkehr (Auto-, Rad- und Fußverkehr) sowie Ortsentwicklung und Bodenschutz gepostet. Die sonstigen abgedeckten Themen sind Tourismus, Freizeit, Fließgewässer, Ortsgestaltung in Haag, NS-Zeit in Haag, Bürger:innenbeteiligung, Kröten und das Verbot von Feuerwerken im Ortsgebiet an Silvester.
Die Gewichtung der Themen ist variierend, es ist kein Zusammenhang mit einem Vorwahlzeitraum oder der Ankündigung einer Kandidatur für die Neos erkennbar.
Es wurde sowohl vor als auch nach der Wahl je eine Bürger:innen-Initiative mit verschiedenen Posts unterstützt (vor der Wahl Initiative zur „Erhalt des Grüngürtels“ und nach der Wahl die Initiative „Gewerbepark oder Lebensraum. Ein Zukunftsplan für Haag“). Bei beiden Initiativen war die Betreiberin der Facebook-Seite jeweils als Privatperson im Initiativkomitee.
Kurz: Die Betreiberin macht auf der Seite genau das, was auch der Name der Seite besagt: Sie teilt ihre Ideen für Haag. Sie hat zusätzlich offengelegt, dass sie für die Neos für kandidiert – was transparent ist. Was nicht aus der Seite hervorgeht ist, ob die Betreiberin nach wie vor für die Neos aktiv ist. Wenn also eine Kritik angebracht wäre, dann diese: Es fehlt die Information, ob die Betreiberin noch Vertreterin der Neos ist bzw. in welcher Funktion. Für die vom Vizebürgermeister aufgestellte Behauptung, dass diese Facebookseite für den Zeitraum vor der Gemeinderatswahl zur pinken Wahlplattform (also Wahlplattform der Neos) wurde, konnte ich keine Belege finden.
Der einzige Zusammenhang mit dem Wahlkampf, den ich finden konnte war einer, der nichts mit der Betreiberin zu tun hat, sondern mit einem Vertreter der ÖVP Haag/H.: Der Haager Bürgermeister hat zwischen dem 19.09.2020 und dem 05.08.2021 verschiedene Kommentare zu Posts der Betreiberin geschrieben – also ausschließlich vor der Wahl.
Für mich präsentiert sich die Situation zusammenfassend wie folgt: Die führenden Vertreter der ÖVP Haag/H. haben – in meinem Demokratieverständnis – bei der Reaktion auf kritische Fragen aus der Bevölkerung außerhalb der Periode von ein Jahr vor der Wahl noch Luft nach oben.
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Transparenz-Hinweis: Ich habe mit der Betreiberin der Facebook-Seite „Meine Idee für Haag“ in den Jahren 2021/2022 gemeinsam mit einer dritten Person in zwei Initiativkomitees für beim Gemeinderat eingereichte Bürger:innen-Initiativen zusammengearbeitet (Erhalt des Grüngürtels von Haag am Hausruck & Transparenz-Initiative). Die für diese zwei Initiativen erstellte, gemeinsame Website wurde zwischenzeitlich eingestellt, siehe Info auf unten. Ich stehe mit ihr nach wie vor in politischem Austausch. Ich bin nicht Teil des Initiativkomitees der Bürger:innen-Initiative Gewerbepark oder Lebensraum.
Auszug aus der Info auf der Startseite der vormalig gemeinsamen Website ausliebezuhaag.at (abgerufen am 12.08.2023)
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Zum Weiterhören:
Die Demokratie – ein umkämpfter Begriff. Ein BR-Podcast von Valentin Badura – Die „Herrschaft des Volkes“ – Demokratie. Handelt es sich dabei um eine Regierungsform neben anderen, oder um ein Ideal, dessen genaue Ausgestaltung stets umstritten ist? Welche Demokratiemodelle stehen einander gegenüber? Welche Auffassungen prallen aneinander, wenn es darum geht, was wirklich „demokratisch“ ist?
Quellen:
- Post vom 29.07.2023 auf der Facebook-Seite der Bürger:innen-Initiative Gewerbepark oder Lebensraum, samt Kommentaren (abgerufen am 12.08.2023)
- Facebook-Seite Meine Idee für Haag, abgerufen am 12.08.2023
- Startseite der Website ausliebezuhaag.at