Wenn jemand weder klar linkshändig noch klar rechtshändig sind, sondern irgendwo in der Zwischenform der Beidhändigkeit angesiedelt ist: Ist dieser Mensch dann minderwertig? Natürlich nicht. Die verschiedenen Formen sind einfach gleichwertig und es ist auch nicht entscheidend für die Bewertung, wie häufig die einzelnen Formen vorkommen. Genauso ist es mit den Geschlechtern.
Ich hab gerade das Buch „Die anderen Geschlechter. Nicht-Binarität und ganztrans normale Sachen“ gelesen. Es ist ein völlig unaufgeregtes Buch, das meinen Horizont sehr erweitert hat.
Eines der Spezialgebiete der Autorin ist ist Geschlechtsdysphorie – womit wir auch gleich beim Kern der Sache sind. Geschlechtsdysphorie beschreibt den Leidensdruck, der durch die Inkongruenz (=Nichtübereinstimmung/Nichtzusammenpassen) zwischen dem körperlichen und psychischen Geschlecht entsteht. Ganz wichtig: Das wird nicht nicht als psychische Störung per se eingeordnet. Lediglich durch den Leidensdruck kann ein Störungscharakter entstehen. Die für mich logische Schlussfolgerung: Ich setze mich ein für eine Gesellschaft ein, die einen solchen Leidensdruck lindert.
Und das bringt mich auch gleich zu einer der wichtigsten Erkenntnisse, die ich aus diesem Buch gezogen habe: Es ist ein Fakt, dass es Menschen gibt, die körperlich von Geburt an zwischen den zwei Geschlechtskategorien Mann und Frau stehen. Sie sind nicht weniger Mensch wert als Menschen, die körperlich klar einem der beiden Pole zugeordnet werden können. Das ist die körperliche Zwischengeschlechtlichkeit. Genauso ist es mit der psychischen Geschlechtlichkeit. Die psychische Geschlechtsidentität entspricht der Geschlechtsidentität, die jemand selbst benennt. Auch da gibt es ein ganzes Spektrum an Zwischengeschlechtlichkeit – die Nicht-Binarität. Als nicht-binär in der Geschlechtsidentität bezeichnen sich Personen, die sich nicht als Mann oder Frau identifizieren, sondern auf einem Spektrum zwischen den Polen oder keiner Kategorie zugehörig. Darum wurde und wird auch richtigerweise in vielen Ländern eine zusätzliche Kategorie eingerichtet – damit das ganze Spektrum abgebildet ist und alle Menschen drin Platz haben.
Viele Menschen empfinden das als bedrohlich und die Debatten werden so hitzig geführt, dass keine wirkliche Auseinandersetzung möglich ist – und wir nicht weiterkommen. Dagmar Pauli schreibt in ihrem Buch (auf S. 239): „Einzelfälle werden politisch benutzt, um unzulässige Verallgemeinerungen anzustellen, anstatt daraus zu lernen.“ Das ist schade, weil wir uns so eine Gesellschaft entgehen lassen, in der alle ihr Potenzial ausleben können.
Ich empfehle daher allen die Lektüre dieses wertvollen Buches. Es enthält ganz viel nützliches Wissen und einen ganzen Rucksack voll praktischer Erfahrungen. Diese können uns helfen, unseren Ängsten auf den Grund zu gehen. So sind wir ihnen nicht mehr ausgeliefert, sondern können sie als wertvolle Wegweiser nutzen.
Zum Weiterlesen:
Non-staatär. Blogbeitrag vom 28.07.2024
Die anderen Geschlechter. Nicht-Binarität und ganztrans normale Sachen. Dagmar Pauli. C.H. Beck. München 2023. Link abgerufen am 18.08.2024
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