Hitler entsorgen (1)

Sticker mit Origami-Motiv lassen sich gut zur Gestaltung von Lesezeichen wiederverwerten. Was aber mache ich mit Stickern mit Hitler-Motiven?

In meiner Kindheit kursierte folgender Spruch: „Was is da los, was wird da gspüt, im ganzn Haus koa Hitler-Büd? Is ja gar net woar, im Keller hamma zwoa.“ (1) Ich wuchs sozusagen mit dem Hinweis auf, dass in Österreichs Häusern zahlreiche Gegenstände aus der Hitlerzeit lagern. Was man mit diesen tun soll – darüber gab es keine Sprüche.

Jetzt, als erwachsene Person, kann ich bestätigen: Tatsächlich liegen in Häusern der Gegend in der ich aufgewachsen bin Hitlersachen rum.

Das wirft die Frage auf:

  • Was mache ich, was machst du, wenn wir in unseren Häusern Dinge aus der Zeit des Nationalsozialismus finden?
  • Welche der Möglichkeiten wähle ich – wählst du: Zerstören? Aufbewahren? Verkaufen? Warum?

Das Haus der Geschichte Österreichs hat zu dieser Frage eine Ausstellung konzipiert, die in Kürze – nach Ausstellungen in Innsbruck und Klagenfurt – in Franzensfeste in Südtirol zu sehen sein wird. Ich hab vor kurzem die dazugehörige Publikation „Hitler entsorgen. Vom Keller ins Museum“ gekauft. Das spannende Buch hat mir sehr geholfen, einzuschätzen, was im Umgang mit Objekten aus der NS-Zeit angemessen ist.

So habe ich z.B. vor einigen Jahren in meinem Haus beim Entrümpeln ein vom Inhalt her harmloses Buch gefunden. Als ich es genauer betrachtete, stellte ich fest, dass es von der NS-Organisation „Kraft durch Freude“ herausgegeben worden war. Für mich war klar: Dieses Buch wird weder verkauft noch in einen Gratis-Bücherschrank gestellt. Gleichzeitig wollte ich es auch nicht zerstören. Es hat für mich einen historischen Wert: Dies deswegen, weil es zeigt, wie weit sehr der Nationalsozialismus in den Alltag der Bevölkerung eindrang.

Genau dasselbe gilt für Sticker mit NS-Motiven die in einem anderen Haus meines Geburtsortes gefunden wurden. Auch sie zeigen: Nationalsozialismus war Teil des Alltags. Ich war geschockt, als ich die Sticker mit den NS-Motiven sah: So wie ich als Kind Heidi-Sticker für das Heidi-Sammelalbum sammelte, so sammelten die Menschen im 2. Weltkrieg offensichtlich NS-Sticker. Was mache ich nun mit diesen Stickern? Darüber bin ich mir noch nicht ganz im klaren. Vermutlich sind es Aufkleber für das Sammelalbum, das die Austria Tabak AG 1940 veröffentlichte, zwei Jahre nach dem „Anschluss“ Österreichs an NS-Deutschland. Ein solches Album ist in der Ausstellung „Hitler entsorgen“ zu sehen.

Jetzt sind sie also jedenfalls tatsächlich aufgetaucht – die Hitler-Bilder, von denen in meiner Kindheit so viel und so unhinterfragt die Rede war. Ich werde sie nicht in den Keller tragen. Denn ich finde: Solche Dinge gehören diskutiert – damit dasselbe nicht noch nochmal passiert.

(1) Auf Hochdeutsch: Was ist da los, was wird da gespielt – im ganzen Haus kein Hitler-Bild? Ist ja gar nicht wahr, im Keller haben wir zwei.


Zum Weiterlesen

Die Welt von Gestern. Memoiren eines Europäers. Stefan Zweig.

Hitler entsorgen. Vom Keller ins Museum. hdgö – Haus der Geschichte Österreich. Wien 2021.

Österreich erklärt. So gefährlich sind Österreichs Rechtsextreme (Video). Der Standard. 16.02.2025.

Psyche und Politik. Trauma-Expertin: „Populisten benennen diffuse Ängste und spielen damit“. Der Standard. 25.02.2025

An folgenden Orten war/ist die Ausstellung „Hitler entsorgen“ zu sehen:

5. April 2025–9. November 2025: Landesmuseum Festung Franzensfeste, Italien 

24. Mai 2024–8. September 2024: kärnten.museum Klagenfurt, Österreich

9. November 2023–3. Mai 2024: Stadtmuseum Innsbruck, Österreich

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