Menschen einfach ignorieren?

Das Haager ÖEK geht in Richtung großflächige Bodenversiegelung. Die ÖVP Haag/H. erachtet das als ein gutes Planungsinstrument.

Anfang 2023 forderte eine sensationell breit unterstützte Bürgerinnen-Initiative – angesichts der zunehmenden Versiegelung der wertvollen Haager Böden – eine zeitgemäße Überarbeitung des örtlichen Entwicklungskonzepts (ÖEK). Der Haager Bürgermeister kündigte daraufhin Ende März an, dass der Gemeinderat die Überarbeitung des ÖEK vorbereite. Nun teilt die Bürgermeisterpartei in ihrer Dezember-Parteizeitung plötzlich mit, dass sie das derzeitige ÖEK für gut befunden habe und keinen unmittelbaren Handlungsbedarf sehe. Was ist da los? Werden hier Bürger:innen einfach ignoriert?

Es begann mit einer Sensation: Eine im Jänner von 6 Personen aus Haag gestartete Bürger:innen-Initiative sammelte innerhalb kürzester Zeit mehr als 600 Unterschriften für eine zeitgemäße Überarbeitung des ÖEK. 333 davon stammten aus Haag. Das muss mensch bei einem solchen Thema – das wirklich nicht dazu geeignet ist, den Hund so einfach hinter dem Ofen hervorzuholen – erst mal schaffen.

Auf dem Tablett serviert

Die Initiative hat es geschafft, in der Bevölkerung ein äußerst trockenes Thema nahezubringen. Der obige Text wurde von über 600 Personen unterstützt.

In anderen Worten: Ein paar engagierte Menschen haben für die Gemeindepolitiker:innen eine breit abgestützte Bürger:innen-Beteiligung mit Null Kosten für die Steuerzahlenden organisiert. Zu einem schwierigen Thema, das dem Allgemeinwohl dient. Besonderer Pluspunkt: Sie haben das Ganze mit sachlichen Argumenten untermauert.

Den Gemeinderatsmitgliedern wurde also auf dem Tablett eine Gelegenheit serviert, das zu tun, wofür sie sich haben wählen lassen: Probleme zu lösen, die der Bevölkerung unter den Nägeln brennen & dem Allgemeinwohl dienen. Ein Gemeinderat, der das Ziel der Lösung solcher Probleme verfolgt, hätte also unmittelbar die Überarbeitung des ÖEK in Angriff genommen. Nicht so der Haager Gemeinderat.

Verzögerungstaktik

An der Gemeinderatssitzung vom 20.04. kündigte der Haager Bürgermeister (als Antwort auf eine Bürger:innen-Frage) an, dass der Gemeinderat im September einen Beschluss fassen werde, das ÖEK zu überarbeiten. Dieser Beschluss erfolgte dann nicht.

Das Haager Gemeinderat machte nach Einreichen der Initiative das, was ich im Laufe meines politischen Engagements immer wieder erlebt habe:

  • Es wird verlautbart, dass das Anliegen der (jeweiligen) Initiative sehr ernst genommen und evaluiert werde. Üblicherweise wird auch noch das Engagement der Initiative gelobt.
  • Darauf folgt eine monatelange Stille.
  • Schließlich wird verlautbart, dass die Evaluierung ergeben habe, dass kein unmittelbarer Handlungsbedarf bestehe und man darum später handeln werde.

Wann später ist wird üblicherweise nicht präzisiert. So auch hier nicht. Es ist völlig unklar, was nun passieren wird – wann es passieren wird – und wer wie mitreden darf. Die Bürger:innen, die das Ganze ins Rollen gebracht haben, wurden bis dato jedenfalls nicht einbezogen.

Eine solche Vorgangsweise dient üblicherweise dazu, das Ganze so lange hinauszuzögern, bis die betroffene Bürger:innen-Initiative ausgelaugt ist. Es ist eine Art Zermürbungstaktik. Die Haager Bürger:innen-Initiative hält ihr bis dato erstaunlich gut stand.

Kleines Detail am Rande: Die Information des Bürgermeisters, dass geplant sei, eine Überarbeitung des ÖEK an der September-Gemeinderatssitzung einzuleiten, gab es nach einer Frage in der Bürgerinnen-Fragestunde vom 30.03.2023. Diese Fragestunde wurde dann an der darauffolgenden Sitzung vom Gemeinderat eingestellt.

Gute Argumentationsbasis

Die Bürger:innen-Initiative möchte die wertvollen Naturräume Haags erhalten.

Die Bürger:innen-Initiative hat ihre Initiative zugunsten einer Überarbeitung des derzeitigen ÖEK ausführlich begründet.

Was wertvoll ist

Die Initiative legt dar, warum Haag etwas Besonderes ist:

  • Haag ist von einer Landschaft umgeben, die hohe Lebensqualität und wertvolle Ressourcen wie Trinkwasser bietet.

Diese Lebens- und Wirtschaftsgrundlagen will die Initiative langfristig sichern.

  • Weiterentwicklung ortsansässiger Betriebe ermöglichen.
  • äußerste Sparsamkeit mit unseren Böden.
  • neues, durchdachtes Leitbild.

Was ein Problem ist

Die Initiative beleuchtet die Probleme des derzeitigen ÖEK:

  • Industrialisierung geplant: z.B. weitere Gewerbegebiete beim Kreisverkehr Reischau, entlang Umfahrungs-Straße & entlang Rieder Bundesstraße.
  • keine Zielgrößen für die Verwendung unserer Böden
  • keine Beurteilung für Artenvielfalt, Wasser-abfluss, soziales Gefüge
  • keine Ausgleichsmaßnahmen
  • landschaftliche Beeinträchtigung
  • Zunahme Verkehr & Emissionen
  • Verlust wertvoller, fruchtbarer, wasser-speichernder Böden
  • Landwirtschaft & regionale Lebensmittel-versorgung werden existentiell bedrängt.

Initiative auf dem Abstellgleis

Die Initiative bot am 2. April 2023 öffentlich aktiv ihre Mitarbeit an. Der Gemeinderat hat das Angebot bis heute nicht aufgegriffen.

Die Bürger:innen-Intiative teilte mir auf Anfrage folgendes mit:

  • Die Initiative hat die Ankündigung des Gemeinderats zur Evaluierung des ÖEK ausdrücklich wertgeschätzt und aktiv ihre Mitarbeit angeboten.
  • Sie erhielt weder vorher noch nachher eine Einladung zur Mitarbeit im Entwicklungsausschuss – der vom Gemeinderat mit der Evaluierung des ÖEKs beauftragt wurde.
  • Ihre sachlichen Argumente wurden vom Gemeinderat nicht widerlegt.
  • Die Initiative wurde nicht informiert, auf welcher Grundlage das ÖEK als “noch ein sehr gutes Planungsinstrument” eingestuft wurde.
  • Die Initiative wurde von der Grünen Fraktionen zu einem fachlichen Austausch eingeladen und hat daraufhin dieser Fraktion ihre Sach-Argumente dargelegt.
  • Der Vertreter der grünen Fraktion war im Entwicklungsausschuss das einzige Mitglied, das gegen den ÖVP-Antrag stimmte, mit dem die Überarbeitung des ÖEK – bzw. die diesbezügliche Bürger:innen-Beteiligung – auf die lange Bank geschoben wurde. Die SPÖ stimmte – wie alle ÖVP-Mitglieder – für ein Hinauszögern. Die FPÖ ist im Entwicklungsausschuss nicht vertreten und konnte somit auch nicht abstimmen.

Dazu kommt:

  • Das derzeitige ÖEK enthält weder ein Radweg- und Gehwegnetz, noch Pläne zur Verbesserung der Erschließung des gesamten Ortsgebietes mit öffentlichem Verkehr. Das derzeitige ÖEK weist also gravierende Mängel im Mobilitätsbereich auf. Es ist völlig autozentriert und schließt Bevölkerungsgruppen, die kein Auto besitzen, von einer selbständigen innerörtlichen Mobilität aus bzw. hemmt diese stark. Die betroffenen Personen können damit viel weniger am öffentlichen Leben teilnehmen, als dies bei einem Wegenetz der Fall wäre, das alle Menschen in Haag berücksichtigt. Schon allein diese Tatsache macht die Überarbeitung dringlich. Es geht hier um die Lebensqualität von Menschen – für die es einen wesentlichen Unterschied macht, ob sie sich in Haag schon demnächst sicher & selbständig bewegen können – oder noch Jahre darauf warten müssen.
  • Die Kosten für die Überarbeitung des ÖEK für den gesamten Ort – inklusive Beteiligung der Bevölkerung – betragen mit 80.000 Euro weniger als die Hälfte der Kosten, die die Gemeinde für den Ankauf der Konkursmasse der Erlebnisberg Luisenhöhe GmbH ausgegeben hat (205.000 Euro). Letztere Ausgaben-Entscheidung wurde im Übrigen bei einer dringlichen Sitzung getroffen, die eine Woche nach einer regulären Sitzung einberufen wurde. Der Gemeinderat handelt also dort wo er will sehr schnell – und gibt dabei auch viel Geld aus.

Kurz: Die in der Bevölkerung breit abgestützte Initiative wurde vom Gemeinderat aufs Abstellgleis gestellt. Einzige löbliche Ausnahme: Die grüne Fraktion.

Mehr Fragen als Antworten

Im Juni wurde informiert, dass durch Haag ein europäisch bedeutender Wildtierkorridor verläuft – der direkte Auswirkungen auf die Ortsplanung hat. Der Entwicklungsausschuss ignorierte diese Fakten. Warum ist unklar.

Ein dreiviertel Jahr nach der Ankündigung des Haager Bürgermeisters, dass das alte ÖEK evaluiert und überarbeitet werde, wurden mehr Fragen aufgeworfen, als Antworten geliefert. Unklar ist u.a. Folgendes:

  • Warum – auf welcher sachlichen Grundlage – wurde ein ÖEK, das seit seiner Einführung 20x geändert wurde, als ein nach wie vor “sehr gutes Planungsinstrument” befunden?
  • Inwieweit ist die Bedrohung des Naturraums – die wertvolle Grundlage unserer Lebensqualität, das was Haag besonders macht – in die Beurteilung des derzeitigen ÖEK eingeflossen?
  • Wenn die Mehrheit der Mitglieder des Entwicklungs-Ausschusses findet, das ÖEK sei nach wie vor ein sehr gutes Planungsinstrument: Werden sie dann bis zum Abschluss der Überarbeitung (weitere) Anträge zur Änderung des ÖEK in Zukunft ablehnen (wenn ich den Grundriss meines Hauses als sehr gut befinde, ändere ich ihn in der Folge ja auch nicht mehr)?
  • Wer profitiert von dem Umwidmungen des derzeitigen ÖEK? Ist der Plan vielleicht deswegen für gut befunden worden, weil er für die Leute gut ist, die von den in ihm geplanten Umwidmungen profitieren? In welchem Verhältnis stehen diese Personen zu den Gemeinderatsmitgliedern, die das ÖEK als sehr gute Planungsgrundlage befunden haben?
  • Am 10. Juni – also 1 Monat vor der Evaluierung des derzeitigen ÖEKs im Entwicklungsausschuss am 11. Juli – habe ich informiert, dass der wahrscheinlich bedeutendste Wildtierkorridor Oberösterreichs in unmittelbarer Nähe des Gewerbegebiets Reischau verläuft und die auf Seite Pramwald vorgesehene Erweiterung dringend gestrichen werden muss, um die Funktionsfähigkeit dieses Korridors zu gewährleisten bzw. wiederherzustellen. Warum wird trotz dieser neuen sachlichen Grundlagen die im derzeitigen ÖEK vorgesehene Betriebsgebiet-Erweiterung Richtung Pramwald immer noch als gut befunden?

Insgesamt sind die sachlichen Grundlagen der Beurteilung völlig unklar bzw. wurden nicht transparent kommuniziert.

Zu-bauen oder Zu-hören?

Die Behandlung der Anliegen der Bürger:innen-Initiative ist eine Fortsetzung der Vorgangsweise, die in Haag am Hausruck schon seit mehreren Jahren zu beobachten ist: Es wird unermüdlich betont, wie wichtig der Bodenschutz für Haag ist – und der Ort parallel dazu stetig weiter versiegelt und verbaut. Auch bei Ansätzen zur Schaffung von attraktivem Wohnraum ohne zusätzliche Bodenversiegelung oder Raum für Gewerbebetriebe ohne zusätzliche Bodenversiegelung gibt es bis dato fast nur schöne Worte. Konkrete Taten lassen auf sich warten. So sollen z.B. die Leerstände erhoben werden – konkrete Ergebnisse & Maßnahmen sind mir aber noch nicht bekannt. Umso wertvoller ist es, dass es in Haag so viele engagierte Bürger:innen gibt, die sich für die Erhaltung der Grundlagen unser aller Lebensqualität einsetzen. Der Gemeinderat tut gut daran, ihnen im kommenden Jahr besser zuzuhören, als er es dieses Jahr getan hat.

Fehlermeldungen wie immer sehr willkommen.

Änderungen:

  • 17.12.2023: letzter Absatz: Erwähnung der geplanten Leerstanderhebung.

Quellen:

  • Petition “Gewerbepark oder Lebensraum. Ein Zukunftsplan für Haag.
  • Tonaufnahmen der Gemeinderatssitzungen vom 30.03.2023 und vom 20.04.2023
  • Mündliche Auskunft Mitglied des Initiativkomitees der Bürger:innen-Initiative “Gewerbepark oder Lebensraum. Ein Zukunftsplan für Haag”, vom 16.12.2023
  • Parteizeitung der ÖVP Haag am Hausruck vom Dezember 2023, Seite 6
  • Protokoll der Gemeinderatssitzung vom 28.01.2021
  • Protokoll der Gemeinderatssitzung vom 23.09.2020