Warum hat Gewissensfreiheit in unserer Gesellschaft einen so hohen Stellenwert? Was hat Gewissen mit Verantwortung zu tun? Antworten auf diese Fragen liefert ein Buch aus dem Nachlass meines verstorbenen Bruders: „Was soll ich tun, Wer will ich sein?“.
Mein Lebensziel ist es, nur Dinge zu tun, die ich mit meinem Gewissen vereinbaren lassen. Das wirft die Frage auf: Ist das Gewissen nicht einfach eine beliebige Sache? Nein, ist es eben nicht. Ein Leben im Einklang mit dem Gewissen heißt für mich, dass ich an mein Gewissen gebunden bin – an meine Grundwerte. Würde ich gegen mein Gewissen handeln, so würde ich mich selbst aufgeben – das was mich als Mensch ausmacht. Es geht um meine Identität.
Ludger Honnefelder schreibt dazu Folgendes:
Zu Recht hält Luhmann die Möglichkeit, im Konfliktfall den lieber den eigenen Tod zu wählen als die qualitative Identität der Persönlichkeit preiszugeben, für die grundlegende Voraussetzung, um überhaupt Gewissen zu haben.
Dabei ist Folgendes zentral wichtig: Wenn ich mich auf mein Gewissen berufe, dann kann ich dafür zwar die verschiedensten Gründe anführen – in letzter Konsequenz aber bleibt ein Rest, für den sich – gemäß Honnefelder – keine Gründe mehr angeben lassen. In anderen Worten: Die Entscheidung hat etwas mit mir ganz persönlich zu tun. Jeder meiner Gewissensentscheide geht daher auch mit einer persönlichen Verantwortung einher. Honnefelder formuliert es so:
So gewiss die Berufung auf das individuelle Gewissen ein Berufung von von mir als zwingend erkannte Gründe ist, so wenig können doch die Gründe diese von mir hier und jetzt zu treffende Entscheidung vollständig bestimmen. Deshalb kann die letzte Antwort auf die Frage, warum ich so handle und handeln muss, über alle Gründe hinaus nur die sein, dass ich eben ich bin. Wenn jede Entscheidung singulär ist und von einem singulären Ich zu treffen ist, dann gibt es einen „Rest“, für den sich keine Gründe mehr angeben lassen. Da gehandelt werden muss, muss hier der Einzelne in einem irreduzibel individuellen Akt seines Willens entscheiden und für die getroffene Entscheidung die Verantwortung übernehmen. Zur Letztinstanzlichkeit des Gewissens gehört unteilbar die Unübertragbarkeit der Verantwortung.
In anderen Worten: Wenn ich das Recht einfordere, ich sein zu dürfen, so geht das unabdingbar mit der Verantwortung für meine Handlungen einher. Wenn ich aber Verantwortung übernehme, ernst nehme, so werde ich immer ganz eingehend die Gründe für mein Handeln suchen und hinterfragen.
In dem Sinn schließt sich der Kreis. Gewissen und Verantwortung gehen Hand in Hand – und das ist auch gut so.
Zum Weiterlesen
Was soll ich tun, wer will ich sein? Vernunft und Verantwortung, Gewissen und Schuld. Ludger Honnefelder. Berlin University Press. 2007.
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