Bitte jammern, nicht beschweren!

Erst wenn die Wahrheit anerkannt wird, kann die Genesung des Opfers gelingen. Doch sehr viel häufiger wird das Schweigen aufrechterhalten und die Geschichte des traumatischen Ereignisses taucht nicht als Ereignis auf, sondern als Symptom.

Judith Hermann, Die Narben der Gewalt, 2018, S.11 (zitiert in: Trauma und die Folgen,. Trauma und Traumabehandlung Teil 1 Michaela Huber, 2020)

In meinem Geburtsort fällt mir immer wieder folgendes Phänomen auf: Es wird gerne gejammert und geschimpft – über dies und das, oder diesen und jenen Mensch – vorzugsweise über den Bürgermeister (der im Übrigen aus meiner Sicht sehr viel richtig macht, nur damit das auch wieder mal erwähnt wird). Wenn es aber dann darum geht, einen Konflikt oder ein Unwohlsein wirklich zu benennen, also zu sagen: “Mir geht es schlecht” und den Grund zu benennen – also sich wirklich zu beschweren: Das ist gar nicht gefragt. Es ist fast wie eine Art Tabu. Wieso ist das so?

Ich kann nur spekulieren und das Ganze hat natürlich viele Facetten. Eine Facette, die ich wahrnehme ist: Es ist als ob das Jammern dazu dient, dass das wirklich Beklagen keinen Raum mehr hat. Es ist als ob eine Angst davor herrsche, was wir sehen würden, wenn wir genau hinschauen. Angst, dass wir womöglich etwas ändern müssten. Angst , dass wir womöglich die für Probleme Verantwortlichen wirklich benennen müssten. Angst vor den eingespielten Mechanismen des subtilen oder nicht so subtilen Drucks die dann gegenüber denen wirksam werden, die sich nicht den Spielregeln fügen. Ist diese Angst berechtigt? Ja. Bringt sie uns weiter? Nein.

Ich bin überzeugt: Es ist für uns alle wichtig, dass wir unsere Ängste überwinden, Grenzen setzen und dem Hinschauen, Zuhören und Aufarbeiten Raum geben. Das Zitat oben stammt aus einem Buch über Traumata und ihre Heilung. Eine seiner Botschaften ist: Trauma sind kein persönliches Problem, das wir uns leisten können, unter den Tisch zu kehren. Im Gegenteil. Sie haben Auswirkungen auf die Wert- und Normvorstellungen unserer gesamten Gesellschaft. Mir ist unsere Gesellschaft – mir sind alle Lebewesen in ihr – ein Herzensanliegen. Ich habe einen Bruder an Suizid verloren. Ich bin mir wichtig. Aus diesen Gründen setze ich mich für die Aufarbeitung von Traumata ein. Individueller – und gesellschaftlicher. Alle Menschen sind es wert hier bei uns Platz zu haben. ALLE. Auch – und gerade: Du.

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Krisenhilfe für Menschen mit Suizidgedanken und für Angehörige, die von Suizid betroffen sind

Österreich

Krisenhilfe Oberösterreich: Rat und Hilfe bei psychischen Krisen rund um die Uhr unter 0732 / 2177.

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  • 147 : Beratungstelefon für Kinder und Jugendliche bis 25 Jahre
    24 Stunden, gratis, anonym (dein Anruf erscheint nicht auf der Telefonrechnung deiner Eltern)
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    24 Stunden, 20 Rappen pro Anruf vom Festnetz, 70 Rappen pro Anruf aus Telefonkabine, anonym
  • 0848 800858 : Pro Mente Sana
    Beratungstelefon  (Normaltarif) Mo, Di, Do 9-12, Do 14-17 Uhr
    Beratung für psychisch kranke Menschen und ihre Angehörigen, auf Wunsch anonym
  • 0848 35 45 55 : Elternnotruf
    Hilfe für überforderte Eltern  (24h)