Klugheit

Es ist nicht so einfach, bei einem Blick in den Spiegel ehrlich mit sich selbst zu sein.

Auch die Klugen stechen zu, bloß klingen ihre Entschuldigungen schöner.

Garten aus Glas, Tatiana Tibuleac

Dummheit schützt vor Strafe nicht. Aber vielleicht Klugheit? Und zwar deswegen, weil Kluge es oft schaffen, sich mit schönen Worten wieder aus der Situation herauszuwinden – und so der Strafe zu entgehen? Möglich.

Doch was bringt es uns eigentlich zu strafen? Ist sofortige, harte Bestrafung die beste Lösung? Nein. Und zwar genau wegen der schönen Worte. Nach einem Fehler als Erstes nach Strafe zu schreien führt uns in eine Welt, in der es wichtig ist, schön reden zu können, um der Strafe zu entgehen.
Ich möchte aber eine Welt, wo wir deswegen schön reden, weil wir uns überlegen: „Was könnte ich anders machen – für ein besseres Miteinander?“ Ich möchte eine Welt, in der wir einander wirklich wichtig sind.

Ich möchte eine Veränderung – in Richtung mehr achtsames Miteinander. Darum richte ich meinen Blick, darauf, wie diese Veränderung am Besten erreicht werden kann. Ich stelle fest: Am Meisten bringt uns, dass Menschen die Verantwortung für ihre Fehler übernehmen – sich ehrlich und wirklich entschuldigen.

Für mich verdient ein Fehler, der von einer vollumfänglichen Entschuldigung gefolgt wird, eine Belohnung – weil er Veränderung ermöglicht.

Dort wo Menschen Verantwortung für das übernehmen, was sie nicht so toll hingekriegt habe, öffnen sich neue Wege im Miteinander – ermöglichen diese Menschen Verbesserungen für uns alle.

Angesichts dieser zentralen Wichtigkeit von vollumfänglichen Entschuldigungen stellt sich die Frage: Was mache ich, wenn jemand einen Schritt in Richtung Entschuldigung wagt – und dann stecken bleibt. Was mache ich, wenn ich merke: Das wird keine richtige Entschuldigung werden – sich aber so anhören, als wäre es eine. Weil sie schön klingt. Was mach ich, wenn ich weiß: Hier braucht es aber eine wirkliche Entschuldigung – und zwar wirklich.

Für mich. Für uns. Für unser aller Miteinander.

Auch die Klugen schauen sich manchmal nicht ehrlich in den Spiegel. Dann klingen ihre Worte hohl.

Wenn ich merke: Da war ein Mensch Richtung Entschuldigung unterwegs, möchte dort auch ankommen – und hat sich aber verirrt. Dann mache ich Folgendes: Ich halte dem Menschen einen Spiegel vor und sag: Da schau mal. Das bist du. Du bist wertvoll. Das, wozu du stehst: Das ist ein Teil von dem, was hier im Spiegel zu sehen ist. Das verdient Belohnung, dass du das (jetzt) sehen kannst – und dazu stehst. Aber den Rest: Den hast du (noch) ausgeblendet. Willst Du da nicht auch noch hinschauen?

Was bringt das? Es bringt vielleicht eine wirkliche Entschuldigung – und damit die wirkliche Chance auf ein neues Miteinander. Und es bringt auf jeden Fall eines: Ein bisschen mehr Ehrlichkeit.

Ehrlichkeit – achtsame Ehrlichkeit – ist ein zentraler Baustein eines vertrauensvollen Miteinanders – der Art von Miteinander, die ich anstrebe.

Darum poliere ich mal meinen Spiegel. Er wird gebraucht.