Die tolle unbequeme Frage

Gestern Abend war ich bei einer Infoveranstaltung der Betreiberin „meiner“ Müllverbrennungsanlage und „meiner“ Kläranlage (die Gemeinde in der wohne ist eine der acht Trägergemeinden). Es ging um ein Riesenneubauprojekt, das viel Geld kostet und natürlich diverse Auswirkungen hat. Der Vortrag war gut, aber mal ganz ehrlich: Das hätte ich auch zuhause auf dem Balkon auf der Firmenwebsite nachlesen können. Das wirklich Spannende kam danach: Die kritischen Fragen – und deren Beantwortung.

Es gibt Veranstaltungen, bei denen es im Frageteil tatsächlich fundierte Antworten auf alle Fragen gibt.

Die Fragerunde war wirklich eindrücklich: Die Firma hatte für ihre Beantwortung den Geschäftsführer, den technischen Leiter und den Leiter Finanzen aufgeboten – die alle topinformiert waren und als Team eine sehr breite Wissenspalette abdeckten. Geleitet wurde die Diskussion vom Präsidenten des Verwaltungsrates. Alle Personen die Fragen stellten, haben das Projekt kritisch bis sehr kritisch hinterfragt. Anderswo wären diese Fragen wahrscheinlich als „Vorwurfsfragen“ eingestuft worden. Nicht so hier: Die kritischen Fragen wurden samt und sonders fachlich fundiert beantwortet und berechtigte Kritik wurde ohne Wimpernzucken als richtig anerkannt. Das bewirkte Folgendes: Ich erfuhr dank der Fragerunde Dinge über das Projekt, die ich nur mit dem Vortrag nie erfahren hätte und das in einer äußerst wohlwollenden Atmosphäre. Auf die Idee, die Berechtigung irgendeiner Frage zu kritisieren oder gar die Fragestellenden persönlich zu beleidigen – so wie ich das auch Haag/H. kenne – kam niemand. Im Gegenteil.

Ich stellte – diejenigen die mich kennen wird das wenig überraschen – eine Frage zum Stellenwert von Umweltaspekten, konkret der Begrünung des (riesigen) neuen Gebäudes. Eine solche Begrünung ist nämlich – das habe ich am Tag der Offenen Tür erfahren – vorgesehen. Auch diese Frage wurde inhaltlich fundiert beantwortet. Anschließend bedankte sich der Diskussionsleiter bei mir dafür, dass ich so eine wichtige Frage stelle. Ich war ganz baff. Und ich freute mich.

Nach mir meldete sich dann eine Person aus der Nachbarschaft. Diese war – berechtigterweise – sehr besorgt über die Auswirkungen des Riesengebäudes und übte scharfe Kritik. Die Antwort des Diskussionsleiters begann wie folgt: „Ich möchte mich bedanken, dass Sie ihre Bedenken so ehrlich zum Ausdruck bringen. Das hilft uns sehr.“ Ich fiel fast vom Stuhl. So ein wertschätzenden Umgang mit Kritik. Wau! Darauf folgte eine fachlich fundierte Antwort, bei der ich – wie auch schon bei allen vorhergehenden Fragen – sehr spannende Zusatzinformationen bekam.

Die betroffene Person aus der Nachbarschaft war – völlig verständlicherweise – weniger begeistert als ich und stellte noch eine weitere kritische Frage, auf die die Reaktion dann war: „Danke, das ist eine gute Frage“ – gefolgt von wieder einer fachlich fundierten Antwort mit sehr spannenden Informationen, die ich ebenfalls ohne die kritische Fragestellenden jetzt nicht haben würde. Außerdem wurde der Person angeboten nach der Veranstaltung noch beim den angebotenen Imbiss und Getränken mit den anwesenden Firmenvertretern zu diskutieren. Es gab übrigens im Vorfeld der Infoveranstaltung einen Dialogprozess, in den auch die Bevölkerung eingebunden wurde.

Meine Fazit ist: Für einen fruchtbaren und respektvollen Dialog (an einem Infoabend, oder an einer Bürger:innen-Fragestunde im Gemeinderat), der zu einem guten inhaltlichen Ergebnis führt, braucht es folgende drei Bedingungen:

  • Menschen, die sich getrauen kritische Fragen zu stellen,
  • eine Person, die die Diskussion wertschätzend leitet, die Fragestellenden emotional abholt und sicherstellt, dass mit den Fragestellenden auch von allen anderen Anwesenden würdevoll umgegangen wird,
  • Menschen, die die kritischen Fragen als wertvoll erachten und fachlich fundiert beantworten (können)

Übersicht

Bei der gestrigen Veranstaltung waren diese Bedingungen erfüllt. Bei den Gemeinderatssitzungen in Haag/H. besteht diesbezüglich noch Luft nach oben, insbesondere in Bezug auf die Erkenntnis, dass es gerade die unbequemen, kritischen Fragen sind, die uns weiterbringen.