Erich Fried fragte sich in seinem Gedicht „Ton“, ob uns nur helles Zerklirren erhellt. Das Gedicht hat seinen Hintergrund in Ereignissen rund um den 2. Weltkrieg.
Ton
Krug war der Krug schon lange vor dem Zerschellen,
Erich Fried, Mitunter sogar lachen. Erinnerungen, 1997, Fischer Verlag
nur nicht so ganz wie ganz zuletzt im Vergehn.
Kann nur fallender Ton in uns tönend geschehn?
Kann uns wirklich nur helles Zerklirren erhellen?
Und nur der Krüge? Nahn wir noch zärtlich genug
trotz der Gewöhnung den anderen, mit dem wir wohnen?
Scheint uns die Rundung an jenen belebteren Tonen
schön und zum Schonen, noch eh unsre Hast sie zerschlug?
Denn so voll Leben ist wenig, wie Töten und Sterben.
Offen, dem Mund gleich, der auf ewig sich schließt,
aufgetaner als je das Gefäß sind die Scherben.
zwischen denen ein lange Gehegtes verfließt.
Und die Erde wird trinken und wird sich verfärben,
ob es Wein oder Blut ist, das man vergießt.
Ich denke, es ist so: Wenn wir hören wollen, dann genügt auch ein leiser Ton, um uns zu sagen: Da stimmt was nicht. Da bin ich gefragt.
Wenn wir hingegen nicht hören wollen, dann werden wir auch dann wenn ein Krug zerschellt sagen: „Den Krug kannte ich ja gar nicht. Wie hätte ich da was tun können.“ Oder: „So ein blöder Krug, was fällt er denn runter.“ Oder was es sonst halt noch alles für Varianten gibt, wenn ich wegschauen will.
Das Problem ist: Wenn ich wegschaue, dann sehe ich nie, wie schön die Krüge sind, die zerschellen. Ich kann gar nicht wählen, ob ich will, dass die Krüge ganz bleiben – auch wenn ein noch so wertvoller dabei ist. Wenn ich wegschaue, dann sehe ich nichts – auch nicht das Schöne. Wenn weghöre, dann höre ich nichts – auch nicht das Dringende. Ich weiss nicht, wann ich einschreiten kann, damit ein Krug aufgefangen werden kann – anstatt zu zerschellen. Ich kann keine Krüge retten.
Ich möchte Krüge retten. Auch wenn dabei zwischendurch einer runterfällt. Ich möchte wenn er runterfällt die Scherben kitten anstatt zu sagen: „Eh schon kaputt.“ oder „Nix mehr zu machen“. So lange Menschen leben, kann man ihnen helfen, indem man sie sieht, ihnen zuhört und ihnen den Platz in der Gesellschaft gibt, den sie zum Leben brauchen. Darum schaue ich persönlich hin – und ich höre auch hin.