Am 16.02.2023 informierte der Haager Vizebürgermeister laut Gemeinderatssitzungsprotokoll, dass Bürger:innenfragen gemäß geltender Rechtslage nicht Teil des öffentlichen Gemeinderatssitzungsprotokolls seien. Im Juli 2023 war dann in einem Artikel des Bürgermeisters in seiner Parteizeitung zu lesen, dass Fragen von Zuhörenden im Gemeinderatssitzungs-Protokoll vermerkt werden. Was stimmt denn nun? Die Suche nach einer Antwort bringt Erstaunliches zutage.
Im Rahmen der am 17.03.2022 eingeführten Bürger:innen-Fragestunde – die zum damaligen Zeitpunkt jeweils unter dem Punkt „Allfälliges“ durchgeführt wurde – stellte ich an der Sitzung vom 15.12.2022 eine kritische Frage an den Haager Vizebürgermeister. Ich reichte dazu Hintergrundinformationen über die genaue Chronologie und Rechtslage ein.
Da meine Frage im Rahmen der Gemeinderatssitzung (d.h. vor ihrem Ende) erfolgte, wurde die Frage – wie bei allen Bürger:innen-Fragen an den vorhergehenden Sitzungen – im Protokollentwurf protokolliert und meine schriftlich eingereichten Hintergrundinformationen dem Entwurf als Beilage beigelegt.
Dass dem so war schließe ich aus Folgendem: An der darauffolgenden Gemeinderatssitzung (bei der jeweils das Protokoll der vorigen Sitzung beschlossen wird) beantragte der von mir kritisch hinterfragte Vizebürgermeister, dass die Beilage (also die Belege für meine kritische Hinterfragung) aus dem Protokoll entfernt werden solle, da die Fragestunde gemäß oö. Gemeindeordnung nicht Teil der Gemeinderatssitzung sei. Es ist völlig richtig, dass die oö. Gemeindeordnung vorsieht, dass Bürger:innen-Fragestunden vor oder nach einer Gemeinderatssitzung stattfinden. Das war aber an der Dezember-Sitzung schlicht und einfach nicht so gehandhabt worden, sondern: Die Fragen der Bürger:innen waren unter Allfälliges – vor Ende der Gemeinderatssitzung eingebracht und beantwortet worden – wie auch schon an den vorhergehenden Sitzungen. Nun dient ein Protokoll ja dazu, darüber zu berichten, was passiert ist – und nicht darüber was passieren hätte sollen.
Kurzer Exkurs: Die Verantwortung für die Sitzungsleitung – d.h. dafür wie die Sitzung abläuft – liegt beim Bürgermeister. Exkurs Ende.
Was genau bzgl. Bürger:innenfragestunde in dem Protokollentwurf der Sitzung vom 15.12.2022 stand, auf den sich der Vizebürgermeister bezog, kann ich nicht sagen: Es haben nur Gemeinderatsmitglieder Zugang zu diesem.
Fest steht aber (das geht aus der Tonaufnahme der Sitzung hervor): Die Mehrheit des Gemeinderats beschloss am 16.02.2023 in einer Abstimmung über den Antrag des Vizebürgermeisters, dass die Beilagen (mit der kritischen Hinterfragung seiner Handhabung der Anfrage von Umweltinformationen) aus dem Sitzungsprotokoll der Sitzung vom 15.12.2022 entfernt werden. Nach der Abstimmung gab es eine Rückfrage an den Vizebürgermeister, ob er wolle, dass die Bürger:innenfragestunde überhaupt nicht im Protokoll sei, ich zitiere: „Willst du das überhaupt nicht im Protokoll?“ Der Vizebürgermeister präzisierte, dass er wolle, dass die Anhänge nicht im Protokoll sind: „Ich will, dass die Anhänge nicht im Protokoll sind.“
Dann wurde es richtig spannend, denn:
Im Protokoll der Sitzung steht etwas ganz anderes als das, was auf meiner Tonaufnahme der Sitzung zu hören ist (die auch meiner Erinnerung entspricht). Aus einem mir unbekannten Grund (ich kann nur spekulieren), stand da plötzlich, dass beantragt und beschlossen worden sei, dass nicht nur die Beilagen, sondern auch die Fragen aus dem Protokoll entfernt werden – mit Bezug auf die geltende Rechtslage.
Es wurden dann tatsächlich nicht nur alle Beilagen zu den Fragen, sondern auch die Fragen selber und auch die Antworten dazu aus dem Protokoll der Sitzung vom 15.12.2022 entfernt. Diese abgespeckte Version ist jetzt die offizielle, öffentliche Version des Protokolls. Bezüglich Protokoll der Sitzung vom 16.02.2023 ist es so: Dort steht jetzt ganz öffentlich und offiziell ein Antrag, der in dieser Form gar nie gestellt und beschlossen worden war. Dies aus folgendem Grund: Das Protokoll wurde von den Gemeinderatsmitgliedern (inkl. Vizebürgermeister, der den falsch protokollierten Antrag selber gestellt hatte) in dieser Form genehmigt.
Warum der Gemeinderat Protokolle beschließt, die inhaltlich falsch sind weiß ich nicht. Es wirft jedenfalls die Frage auf: Wenn in Gemeinderatssitzungsprotokollen Dinge stehen, die gar nie so gesagt und beschlossen werden – wer garantiert mir dann, dass eine Frage, die ich an einer Gemeinderatssitzung stelle, dann auch richtig protokolliert wird? Die Antwort: Niemand. Das Problem ist nämlich: Gemäß oö. Gemeindeordnung werden die Protokollentwürfe an nur Gemeinderatsmitglieder und Ersatzgemeinderatsmitglieder gesendet. Die Zuhörenden bekommen die Entwürfe nie zu Gesicht. Sie können erst das pfannenfertige Protokoll einsehen – dass dann nicht mehr geändert werden kann.
Wenn also etwas, das ich als Zuhörende an einer Gemeinderatssitzung sage oder frage, falsch protokolliert und dann vom Gemeinderat das Protokoll mit diesem Fehler genehmigt wird, dann hab ich schlicht und einfach Pech gehabt. Ich steh auf immer und ewig falsch zitiert in einem amtlichen Protokoll. Das ist mir im Übrigen auch schon mehrmals passiert. Der Vorteil von Bürger:innen-Fragestunden ist: Hier ist der Gemeinderat nicht an die öo. Gemeindeordnung gebunden, sondern kann die Protokollentwürfe auch an die Fragestellenden senden.
Das wirft die Frage auf: Warum ist es für die Gemeinderatsmitglieder ein so großes Problem, wenn Fragen nach der Gemeinderatssitzung im Rahmen einer Bürger:innen-Fragestunde gestellt werden – und nicht an der Sitzung? Zeitlich – also von der Länge der Zeit, die jemand protokollieren muss kommt es aufs Gleiche raus. Es kann auch für eine Bürger:innen-Fragestunde eine andere Person für die Protokollerstellung gewählt werden. Das ist nicht das Problem. Anders gefragt: Warum will der Gemeinderat fragestellenden Zuhörenden nicht die Möglichkeit geben, dass ein Format gewählt wird, wo die Bürger:innen kontrollieren können, ob ihre Fragen richtig protokolliert wurden?
Apropos oö. Gemeindeordnung: Der Bürgermeister schreibt im Juli 2023 in seiner Parteizeitung: „In der oö. Gemeindeordnung ist ohnehin festgelegt, dass Bürgerinnen und Bürger, die als Zuhörer an einer Sitzung des Gemeinderats teilnehmen, ihre Fragen an den Gemeinderat richten dürfen.“ Das stimmt so nicht. In der oö. Gemeindeordnung ist kein Fragerecht für Zuhörende festgelegt – (siehe Fußnote 1). Ganz unrecht hat der Bürgermeister trotzdem nicht: Es wird akzeptiert, wenn Zuhörende einer Gemeinderatssitzung das Wort ergreifen (siehe Fußnote 2). Dazu muss allerdings vorher – d.h. für jede einzelne zuhörende Person, die sich zu Wort meldet – eine Abstimmung abgehalten werden.
Und was ist nun meine Schlussfolgerung aus all dem:
- Nicht alles was in den Sitzungsprotokollen des Haager Gemeinderats steht ist auch so passiert. In anderen Worten: In Bezug auf auf die Korrektheit der Protokolle der Sitzungen des Haager Gemeinderats besteht noch Luft nach oben.
- Die für Zuhörende unbürokratischste Version Fragen zu stellen ist die Abhaltung einer Bürger:innen-Fragestunde. Es muss nicht vor jeder Frage extra abgestimmt werden. Diese Abstimmung ist eine zusätzliche psychologische Hemmschwelle.
- Bei der Bürger:innen-Fragestunde können die Zuhörenden (selber) kontrollieren, ob ihre Fragen richtig protokolliert wird. Bei Fragen, die während der Gemeinderatssitzung gestellt wurden, können sie das nicht.
Für mich ist klar: Die Version Bürger:innen-Fragestunde ist für die Zuhörende, die Fragen stellen wollen, schon allein wegen der Möglichkeit der Kontrolle der Protokollierung, der geringeren Hemmschwelle & weniger Bürokratie vorteilhafter als die Version von Fragen während der Gemeinderatssitzung.
PS.: Ich habe die (damaligen) Gemeinderatsmitglieder bereits am 4.9.2020 – also vor beinahe 3 Jahren – in einem Schreiben informiert, dass in den Protokollen der Gemeinderatssitzungen Fehler auftreten. Auf dieses Schreiben erhielt ich genau eine Antwort, von einem ÖVP-Gemeinderat. Von diesem wurde ich auf die Gemeindeverwaltung verwiesen. Diese kann durchaus vom Bürgermeister mit der Erstellung des Protokolls betraut werden (siehe Rechtsgrundlage unten, Abs. 2) und Haag ist das auch so. Der/die bestellte Schriftführer:in aus der Verwaltung kann durch einen möglichst rasch erstellten und möglichst korrekten Protokollentwurf auch wesentlich zur Qualität der Protokolle beitragen (siehe Rechtsgrundlage, Abs. 3: „Die Verhandlungsschrift ist unverzüglich, längstens aber binnen vier Wochen nach der Sitzung in Reinschrift zu übertragen.“). Schlussendlich aber trägt der Gemeinderat die inhaltliche Verantwortung. Er beschließt das Protokoll. Er hat die Hoheit über die Bestellung der Person, die das Protokoll verfasst. Und er kann auch klarstellen, dass er wünscht, dass die Protokollentwürfe unmittelbar nach der Sitzung zugestellt werden – wo das Gedächtnis noch frisch ist – und nicht erst nach den im Gesetz erlaubten vier Wochen.
PPS: Fehler dürfen wie immer gerne gemeldet werden.
Zum Weiterlesen:
- Überblick über die Fragestunde im Haager Gemeinderat
- Rechtsgrundlage für die Erstellung der Protokolle von Gemeinderatssitzungen:
Oö. Gemeindeordnung, §54 Verhandlungsschrift (Vorgaben für die Erstellung des Protokolls des Gemeinderats)
Gesamt Oö. Gemeindeordnung (Gesamtheit der Vorschriften für Gemeinderatssitzungen, Ausschusssitzungen etc.)
Fußnoten (Auskunft des Landes OÖ)
Fußnote 1: Zuhörer, und darunter sind u.a. auch an der Sitzung nicht aktiv teilnehmende, aber anwesende Gemeinderatsmitglieder zu verstehen, dürfen in der Sitzung des Gemeinderates nur zuhören. Ein darüber hinausgehendes Mitwirkungsrecht ist nur im Wege des § 66 Abs. 2 Oö. Gemeindeordnung 1990 zulässig.
§66, Abs. 2 Oö Gemeindeordnung: „Die kollegialen Organe der Gemeinde können Gemeindebedienstete oder sonstige Personen ihren Sitzungen beiziehen.“
Fußnote 2: Im Sinne der Verwaltungsökonomie akzeptieren wir es aber, wenn auf dieser gesetzlichen Grundlage (auch schon) anwesende Zuhörer kurzfristig im Laufe einer gerade stattfindenden Sitzung beigezogen werden. Für die Beiziehung ist ein (einfacher) Mehrheitsbeschluss des Gemeinderates notwendig. Einen solchen Geschäftsantrag kann jedes an der Sitzung teilnehmende Gemeinderatsmitglied stellen. Dies gilt aber für beigezogene Sachverständige und sonstige Amtspersonen nicht: diese kann der Vorsitzende von sich aus beiziehe.
Fußnote 2: Im Sinne der Verwaltungsökonomie akzeptieren wir es aber, wenn auf dieser gesetzlichen Grundlage (auch schon) anwesende Zuhörer kurzfristig im Laufe einer gerade stattfindenden Sitzung beigezogen werden. Für die Beiziehung ist ein (einfacher) Mehrheitsbeschluss des Gemeinderates notwendig. Einen solchen Geschäftsantrag kann jedes an der Sitzung teilnehmende Gemeinderatsmitglied stellen. Dies gilt aber für beigezogene Sachverständige und sonstige Amtspersonen nicht: diese kann der Vorsitzende von sich aus beiziehe.
Veröffentlichung am 22.07.2023
Änderungen:
– 23.07.2023: Präzisierung der Zuständigkeiten für das Protokoll / Verlinkung Rechtsgrundlage.
– Einfügen Link zur Fragestunde im Haager Gemeinderat