nach.ruf

Hermann Zauner
28. Jänner 1968 – August 2021

Bevor ich sterbe

von Erich Fried

Noch einmal sprechen
von der Wärme des Lebens
damit doch einige wissen:
Es ist nicht warm
aber es könnte warm sein

Bevor ich sterbe
noch einmal sprechen
von Liebe
damit doch einige sagen:
Das gab es
das muss es geben

Noch einmal sprechen
vom Glück der Hoffnung auf Glück
damit doch einige fragen:
Was war das
wann kommt es wieder?

Das ist ein Gedicht, von dem ich weiß, dass mein Bruder Hermann es gelesen hat. Hermann ist tot und kann nichts mehr erzählen über sein Leben – über das, was ihn besonders machte, über das, was für ihn schön war – Wärme, Liebe und Glück war – und über das, was für ihn schwierig war. Darum möchte ich dies an seiner Stelle versuchen. Ich werde aus der Sicht seiner zwei Jahre jüngeren Schwester erzählen – und versuchen, ihm dabei bestmöglich gerecht werden.

DIE SINNFRAGE

Hermann hat sein Leben mit sehr viel Sinn erfüllt. Er hat alles aus seinem Leben herausgeholt, was unter den gegebenen Umständen herauszuholen war. Er hat einen Weg gefunden, dies zu tun – bis es keinen Weg mehr gab.

Hermann hat seinem Leben auf drei Arten Sinn gegeben:

  • Er hat erstens sein Leben ganz intensiv gelebt. Er hat viele Dinge als schön, gut und bereichernd erfahren: Musik – Reisen – seine Klassengemeinschaft in Wieselburg – Feste – die Arbeit in der Landwirtschaft – den Einsatz für seine Familie und die Menschen, die ihm wichtig waren.
  • Hermann hat zweitens seinem Leben Sinn gegeben, indem er die Welt verändert hat und versucht hat, sie zum Besseren zu wenden – wo immer es ihm möglich war. Hermann war grundehrlich und hatte einen äußerst hohen Gerechtigkeitssinn, gepaart mit einem großen Wissen und Gespür für Problemursachen. Es war ihm ein großes Anliegen, sich für den Schutz seiner Mitmenschen einzusetzen, insbesondere für den Schutz von Kindern. Er hat dabei nicht immer die angemessene Form gefunden, aber er ging Dingen immer auf den Grund und hat aus dieser Analyse heraus gehandelt.
  • Hermann hat drittens dort, wo es nötig war, Umstände zu ertragen, weil er sie nicht ändern konnte, diese Situation nicht einfach passiv hingenommen. Er hat andere und auch sich selber gründlich hinterfragt und immer versucht, einen Umgang mit der jeweiligen Situation zu finden.

Musik spielte im Leben von Hermann eine ganz besondere Rolle. Ein ganz spezielles Erlebnis war dabei für ihn der Besuch des Konzerts «The Wall» von Pink Floyd nach dem Mauerfall in Berlin. Hermann fuhr mit seinem Auto dorthin. Eine so weite Reise für ein Konzert war damals völlig unüblich. Er hat sich weder dann noch sonst irgendwann nach dem gerichtet, was üblich war. Er hat das gelebt, was ihn am meisten erfüllte. Auch malte er.

Ganz intensiv hat Hermann das Leben auch mit seiner Hündin Sona erlebt. Als Sona von einem Autofahrer angefahren wurde und ums Überleben kämpfte, pflegte er sie über Wochen intensiv – bis sie eines Tages wieder aufstand. Wäre er nicht gewesen, so wäre Sona damals eingeschläfert worden. Er hat das verhindert. Er hat die Konfrontation mit den Schmerzen seiner geliebten Hündin nicht gescheut und erfahren, dass sein Da-Sein und sein Einsatz einen Unterschied machen – dass er damit sogar ein Leben retten konnte.

Hermann war ehrlich und geradlinig. Er hatte den Mut zu sagen: Das passt so nicht für mich. Er hatte den Mut auszusprechen: Da ist ein Problem. Er tat dies zum Teil in einer Form, die äußerst herausfordernd und sehr oft auch überfordernd war. Das ändert aber nichts an folgender Tatsache: Er hat erkannt und ausgesprochen, was falsch läuft. Er hat das nicht hintenrum getan, sondern geradlinig und direkt. Er hat Probleme sichtbar gemacht. Es lag nicht in seiner Macht, die von ihm erkannten Probleme zu lösen. Dazu war das System zu stark – und er zu allein. Dazu war das System – aus meiner Sicht – auch zu krank.

Hermann war sehr sensibel. Hermann war anders, als erwartet wurde. Er war ein Mensch, der sich nicht arrangierte. Damit war sein Umfeld oft überfordert. Es war keine Menschen gewohnt, die sich nicht arrangierten. Hermann konnte sich nicht arrangieren. Dazu war sein bereits erwähnter Gerechtigkeitssinn schlicht und einfach zu hoch. Er konnte Unrecht nicht hinnehmen. Er konnte nicht verstehen, wie andere das konnten. Es war für ihn von größter Bedeutung, dass er seinen Anteil dazu leistete, das Unrecht, das er sah, beseitigen zu helfen.

Von 14-19 Jahren besuchte er das Francisco Josephinum, die 5-jährige Höhere Bundeslehranstalt für Landwirtschaft in Wieselburg, und zwar in der Fachrichtung Landtechnik. Mit 14 Jahren von zuhause wegzukommen in ein Internat war für ihn äußerst schwierig – und doch fand er in Wieselburg etwas, dass für ihn ganz wichtig war und bleiben würde: Eine Klassengemeinschaft, in der er Freunde hatte, und eine Schule, in der seine Fähigkeiten zählten. Hermann war in vielen Dingen hochbegabt, v.a. in technischen Dingen und in Mathematik. Er absolvierte während seiner Schulzeit mehrere Praktika, eines davon in der Landmaschinenwerkstätte des Lagerhauses Haag. Dieses schrieb in seinem Dienstzeugnis:
«Herr Zauner hat auf Grund seiner leichten Auffassungsgabe und seines Fleißes alle ihm übertragenen Aufgaben zur vollsten Zufriedenheit ausgeführt. Wir haben Herrn Zauner als sehr fleißigen und freundlichen jungen Mann kennengelernt und wünschen ihm auf seinem weiteren Lebensweg alles Gute.»
Ich habe diese Worte für diesen nach.ruf ausgewählt, weil sie das ausdrücken, was Hermann in seinem Leben viel zu wenig erfahren hat: Wertschätzung für das, was er war – und das, was er konnte.

Im Jahr 1987 maturierte Hermann mit Auszeichnung. Es wurde ihm der Ingenieurstitel verliehen, der für ihn später sehr wichtig wurde. Der Titel sagte aus: Ich, Hermann Zauner, bin etwas und kann etwas. Er war für ihn – in meiner Wahrnehmung – ein Zeichen, dass er es verdiente, respektiert und wertgeschätzt zu werden.

Hermann blieb seinen Werten nach seinem Einstieg in die Arbeitswelt treu. Er fand in seiner zweiten Arbeitsstelle in Wien auch einen Arbeitgeber, der das, was er konnte schätzte und bei dem er sich wohlfühlte. Er blühte auf. Hermann reiste, nahm am gesellschaftlichen Leben teil, ging abends fort, tanzte gerne, war Teil der Gesellschaft. Dann wechselte die Geschäftsführung seiner Firma und er stellte fest, dass er die neue Ausrichtung nicht mittragen konnte. Er kündigte. Er hat leider nie wieder eine Firma gefunden, in der seine Fähigkeiten so geschätzt wurden, wie in seiner ersten Zeit bei dieser Firma in Wien.

Hermann spürte ganz klar, dass vieles falsch lief. Er erlebte, wie inkompetente Menschen Führungspositionen einnahmen und er dagegen nichts ausrichten konnte. Er erlebte, dass Menschen, die ganz klare Verfehlungen begingen, keine Konsequenzen für ihre Fehler tragen mussten. Er war mit Vorgesetzten konfrontiert, denen er fachlich haushoch überlegen war und die nicht begriffen, dass das, was sie verlangten, keinerlei fachlichen Sinn ergab. Er war mit inkompetenten Menschen in Behörden konfrontiert. Wenn er diese real existierenden Probleme ansprach, so war er mit einer doppelten Botschaft konfrontiert: Einerseits wurde ihm gesagt, dass er eh recht habe – und andererseits, dass man da halt nichts machen konnte und man sich da halt anpassen muss. Diese widersprüchlichen Doppelbotschaften machten ihm sehr zu schaffen. Er suchte verzweifelt nach einem Ausweg, um die daraus resultierende Anspannung zu lösen. Er wandte sich dabei auch an mich. Ich fand keinen Weg, ihm zu helfen. Wenn ich heute auf sein Leben zurückblicke und die Schreiben lese, die er an verschiedene Stellen richtete, so zeigt sich mir klar: Hermann war grundehrlich und hat Dinge von Grund auf hinterfragt. Er hat die Dinge herausgeschält, an denen es in unserer Gesellschaft krankt.

Hermann litt oft sehr stark. Er konnte – aus meiner Sicht – schlussendlich nie das auflösen, was ihn sein Leben lang begleitet hat: Dass er keinen wertgeschätzten Platz in unserer Gesellschaft gefunden hat. Auch ich hatte Anteil daran, dass er diesen Platz nicht fand. Hermanns Tod bestärkt mich darin, dass alle Menschen einen wertgeschätzten Platz verdienen und dass es in meiner – in unser aller – Verantwortung liegt, aktiv daran mitzuwirken, dass alle Menschen diesen ihnen zustehenden Platz auch bekommen: Alle Menschen, auch die – und in meinen Augen sogar gerade insbesondere jene Menschen – die grundehrlich und hochsensibel sind. Wir brauchen solche Menschen. Wir brauchten Hermann. Jetzt ist er nicht mehr da. Ich werde ihn sehr vermissen. Er fehlt.

Renate Zauner, 18.11.2021 (auf Grundlage des Nachrufs an der Verabschiedungsfeier vom 6.11.2021)

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  • www.nebelmeer.net
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    Suche nach Psychologinnen * Psychologen: Beratungsschwerpunkte, Ort, Sprache usw.
  • www.psychotherapie.ch
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