Mit Allem kommen können

Wer kennt ihn nicht, den Satz der Bürgermeisterin / des Chefs / der Kursleiterin / der Eltern: Man kann jederzeit mit Allem zu ihm/ihr kommen. Was ich daran so spannend finde ist: Menschen sind wahnsinnig gescheit – schon von Kind auf. Sie wissen ganz genau, wem sie wirklich offen ihre Sorgen erzählen können bzw. welche Risiken damit verbunden sind – und richten sich danach. Und so bekommen eigentlich nur die Menschen, die für die Welt in ihrer ganzen Fülle (inkl. kritischer Wahrnehmung ihrer eigenen Handlungen) offen sind, auch die wirklichen Probleme mit. Alle andere hören das, was sie hören wollen (und können). Ich finde: Das hat eine gewisse Gerechtigkeit. Und eine gewisse Tragik.

Tragisch ist es deswegen, weil so sehr viele Menschen unnötig leiden, statt dass ihre Probleme gelöst werden. Es ist ungleich schwerer, Probleme anzusprechen, wenn man weiß, das man danach persönlich angegriffen wird. Und Dinge, die nicht angesprochen werden (können), werden selten gelöst.

Es ist auch deswegen tragisch, weil sich dadurch Menschen, die die Macht hätten Probleme zu lösen selber die Chance vertun, das auch wirklich tun zu können. Ich bin überzeugt, dass man so kein inneres Glück finden kann.

Gerecht ist es deswegen, weil Menschen, die offen für die Welt sind, diese in ihrer ganzen Fülle erleben können.

Meine – paradoxe – Erfahrung ist: Dort wo Menschen Raum schaffen für eine kritische Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Standpunkten und Wahrnehmungen – dort wo Konflikte offen ausgetragen und insbesondere auch die Menschen in Führungspositionen kritik- und konfliktfähig sind und auch fähig sind, sich für Fehler zu entschuldigen – dort gibt es viel weniger Probleme als dort wo Menschen Angst haben, ihre Sorgen anzusprechen.

Das ist ein Grund, warum ich es so wichtig finde, dass sich die Verantwortlichen der Gemeinde Haag am Hausruck bei mir für ihren Umgang mit mir entschuldigen. Sie würden damit klarstellen, dass ein kritisches Mitdenken und Nachfragen in diesem Ort ausdrücklich geschätzt und erwünscht ist – und es auch erlaubt ist, eine andere Meinung zu haben als Gemeinderat und Bürgermeister. Dies – so bin ich überzeugt – würde einen ganz wichtigen Beitrag zu einer offenen, konstruktiven Konfliktkultur in Haag am Hausruck leisten – und zu einem Zusammenleben in dem alle Platz haben und willkommen sind, in ihrer ganzen Einzigartigkeit.