…und führen, wohin du nicht willst



“Haben Sie noch nie darüber nachgedacht, dass Denken immer gefährlich ist?”

Helmut Gollwitzer

Die derzeitige Situation rund um den Coronavirus wirft die Frage auf: Wer entscheidet über die derzeitigen Massnahmen und wie? Spannenderweise finde ich dazu in einem Buch aus dem Jahre 1954 namens “… und führen wohin du nicht willst. Bericht einer Gefangenschaft” interessante Gedanken. In diesem Buch berichtet Helmut Gollwitzer von seiner Gefangenschaft in der Sowjetunion nach dem 2. Weltkrieg und analysiert kritisch die Situation in der Sowjetunion und ganz allgemein die Frage von Staat, Menschlichkeit, Freiheit und totalitären Systemen.

Was ich am Buch von Helmut Gollwitzer besonders spannend finde sind seine Berichte über Gespräche mit Andersdenkenden und seine Berichte und Gedanken darüber, wie Solidarität und Zusammenhalt durch verschiedene Gesellschaftssysteme untergraben und gefördert werden können.

Ich möchte hier einige Gedanken von ihm teilen, die er zum 3. Reich (insbesondere der Judenverfolgung) zur Diskussion stellt und die ich finde auch heute noch ihre Gültigkeit haben – auch für heutige gesellschaftliche Fragen:

“1. Wir haben davon nichts gewusst! – Aber warum haben wir nichts davon gewusst? Haben wir nichts wissen können oder nichts wissen wollen?

2. Wir haben es nicht gewollt! – Haben wir es damals alle wirklich, von ganzem Herzen nicht gewollt oder wollen wir es nur heute nicht mehr?


3. Wir konnten nichts dagegen tun! – Haben wir alles getan, was wir dagegen tun können? Haben wir alles an Hilfe für die Verfolgten getan, was wir konnten?

(Aus: “… und führen, wohin du nicht willst”, S. 119)

Egal in welcher gesellschaftlichen Situation ich mich befinde, ich habe – in meiner Lebenshaltung – immer die Verantwortung, mich bestmöglich zu informieren, mich zu fragen, was ich will und mich dagegen zu wehren, wenn etwas getan wird, mit dem ich nicht einverstanden bin. Dabei ist mein Spielraum mal kleiner und mal grösser – aber er ist immer da. Um auf das Eingangs-Zitat zurückzukommen: Ja, Denken ist gefährlich. Und doch habe ich gleichzeitig immer den Spielraum, es zu tun.

Zum Weiterlesen:

“… und führen wohin du nicht willst. Bericht einer Gefangenschaft”, Helmut Gollwitzer, Fischer Bücherei, Juli 1954

“Corona-Krise. Psychlogin: Wir sollten Debatten führen während wir handeln”, Der Standard, 21. April 2020 (abgerufen am 23.04.2020)